Mit einer Route mitten durch den Wiener Bezirk Favoriten erinnerte der erste Marsch des Lebens in Wien an die ungarischen Juden, die hier in der Nazizeit unter brutalen Bedingungen Zwangsarbeit leisten mussten. Gleichzeitig setzte er mit der Botschaft „Am Israel Chai“ ein deutliches Zeichen der Solidarität für Israel und für jüdisches Leben in Österreich. Mit dabei waren zusammen mit 300 Teilnehmern neben dem israelischen Botschafter David Roet und Marsch des Lebens Gründer Jobst Bittner auch Oberrabbiner Jaron Engelmayer sowie der Nationalratsabgeordnete Martin Engelberg.
Ausgangspunkt des Marsch des Lebens war die Expedithalle auf dem Gelände der ehemaligen Ankerbrotfabrik, wo der Veranstalter, die christliche Freikirche Wunderwerk heute Gottesdienste feiert. Hauptpastor Benjamin Brestak erinnert an die Geschichte des Gebäudes: Die jüdischen Brüder Heinrich und Fritz Mendl hatten hier 1891 die Ankerbrotfabrik gegründet. „Es kam aber dann 1938 zur Arisierung [und] die Gründerfamilie Mendel wurde aus Österreich vertrieben“. „Etwa 200 ungarische Juden, Kinder, Senioren [und] Frauen wurden zur Zwangsarbeit aus ihren Dörfern [nach Wien] verschleppt […] und das Ganze ein Jahr vor Kriegsende!“ Um diese Geschichte lebendig werden zu lassen wurde ein Bericht von Rivka Junger, einer Enkelin von vier Holocaustüberlebenden, vorgelesen, deren Vorfahren in der Brotfabrik Zwangsarbeit leisten mussten. Auch in ihrer Familie wurde lange geschwiegen: „Damals lebten wir alle im Schweigen der 6 Millionen Toten.“
Johannes Fichtenbauer katholischer Diakon in Wien und Leiter der Organisaton TJCII machte anhand seiner persönlichen Geschichte deutlich, wie sehr Familien in Österreich in die Schuld des Nationalsozialismus verstrickt waren und das Auswirkungen bis heute hat. Er erzählte, dass er in jungen Jahren von seinem Großvaters geprägt wurde, der ein ranghoher Nazi war und seine Taten nie bereute. Trotz seiner Hinwendung zum christlichen Glauben, kam in erst Jahrzehnte später der Wendepunkt, als er 1995 bei einem Bußmarsch im Gedenken an die Todesmärsche der ungarischen Juden teilnahm: „Angekommen in Mauthausen konnte ich meinen Tränen Lauf lassen, mein Judenhass brach aus mir hervor und wurde gleichzeitig weggeschwemmt.“
Mit diesen Eindrücken startete der Marsch des Lebens vor der Expedithalle und führte durch den 10. Bezirk mit israelischen und österreichischen Flaggen zur Bloch-Bauer-Promenade. Bei der Abschlussveranstaltung warnte David Roet, der israelische Botschafter in Österreich vor dem wachsenden Antisemitismus: „Wenn Sie diesen Hass nicht bekämpfen, wird er irgendwann auch Sie selber betreffen!“
Oberrabiner Herr Engelmeier gab einen Einblick in die aktuelle Situation der Juden weltweit nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel: „Wie sollen wir uns da fühlen, wenn in der internationalen Gemeinschaft der Terror belohnt wird?“ Er fragte, was es für einen anderen Weg als Selbstverteidigung es für einen Staat geben könnte, wenn die benachbarten Terroristen ihn zerstören wollen. Marie-Louise Weissenböck, Vorsitzende der Christen an der Seite Israels Österreich erinnerte an die Geiseln, die immer noch in Gaza festgehalten werden und beklagte den fehlenden Aufschrei der Welt. Jobst Bittner, Gründer und Präsident des Marsch des Lebens fasste die Botschaft zusammen: „Wir erklären gemeinsam, dass wir unabhängig von der israelischen Politik in dieser Zeit mehr denn jemals zuvor solidarisch in Freundschaft an der Seite Israels stehen!“
Zum Abschluss wurde noch einmal einem zentralen Anliegen des Marsches des Lebens Raum gegeben, der Auseinandersetzung mit der persönlichen Familiengeschichte im Nationalsozialismus. Ester Lang, Simone Waldert und David Reiner bekannten sich zur Nazischuld ihrer Vorfahren in Österreich. David Reiner sagte „Wir sind erschüttert, über das, was unser Urgroßvater als Polizist im Ghetto in Krakau getan hat. Aber wir sind dankbar, dass wir heute für Israel unsere Stimme erheben können, dass wir Freunde sein dürfen. Wir lieben das jüdische Volk, wir lieben Israel und wir sagen: Am Israel chai!“