Von der Erinnerung und Mahnung zur Freude

Ein Beitrag von Heinz Reuss, internationaler Direktor Marsch des Lebens

Das Sukkot-Fest 2025 war in vieler Hinsicht besonders: 7 Tage zwischen dem 7. und dem 13. Oktober 2025, die alles veränderten. 

5:29 Uhr in Tübingen 

Die Luft war kalt an diesem Oktobermorgen, als wir in Tübingen schon sehr früh aufstanden. Um 5:29 Uhr wollten wir am zweiten Jahrestag des Hamas-Pogroms die Namen der 1170 Ermordeten und 251 Entführten lesen und Schilder hochhalten. „Never forget October 7″, „Never forget the hostages” – diese Botschaft sollte in den lokalen und nationalen Medien sichtbar und hörbar sein, um der Welle der Anti-Israel-Berichterstattung etwas entgegenzusetzen. Und genauso wichtig: Sie sollte in Israel gehört werden, damit die Menschen dort wissen, dass sie nicht allein sind. 

Wir hatten weltweit zu dieser Form des Gedenkens aufgerufen, am Ende waren es 146 Orte in 23 Nationen, an denen solche Mahnwachen stattfanden. Und tatsächlich – überall berichteten lokale und nationale Medien, und in Israel kamen Radio-, Zeitungs- und Fernsehberichte über die Marsch-des-Lebens-Aktion. Viele schrieben uns, wie sehr sie diese Solidarität tröstete und ermutigte. 

Ein Anruf voller Hoffnung 

Am 7. Oktober war bereits erste Hoffnung nach langer Zeit erwacht. Donald Trump hatte einige Tage zuvor seinen „Deal” öffentlich gemacht, und ihm wurden gute Chancen eingeräumt, tatsächlich erfolgreich zu sein. 

Am Abend des 8. Oktober klingelte mein Telefon. Ilan Dalal war dran, der Vater von Guy Gilboa-Dalal, der von der Hamas nun seit fast zwei Jahren festgehalten wird. Ilans Stimme klang anders als sonst – zum ersten Mal schwang echte Hoffnung mit. Wir sprachen darüber, dass diese Hoffnung zum ersten Mal eine wirkliche Perspektive erlaubte: Sein Sohn könnte tatsächlich freikommen. 

Nach der Marsch-des-Lebens-Konferenz hatte Ilan eine WhatsApp-Gruppe gestartet und alle Freunde aus dem internationalen Netzwerk eingeladen – mit einem einzigen Ziel: dass sie für die Freilassung seines Sohnes beten sollten. Jetzt, in diesem Telefonat, stellten wir uns beide die Frage: Würde Gott die Gebete erhören? 

Die Einigung – und eine Sukka, die stehen blieb 

Nur wenige Stunden später kam die Nachricht, die alles veränderte: Eine Einigung zwischen den Parteien wurde verkündet. Das Beste dabei: Alle Geiseln sollten direkt zu Beginn des Deals freikommen. Könnte es wirklich wahr werden? Würde Guy noch während Sukkot, dem jüdischen Laubhüttenfest, nach Hause kommen? 

Die Geschichte dahinter macht die Bedeutung noch tiefer: Guy hatte seinem Vater am Vorabend von Simchat Tora – dem Fest der Torafreude – gesagt, er solle die Sukka, die traditionelle Laubhütte, noch nicht abbauen, bis er vom Nova-Festival zurück sei. Doch er kam nicht zurück. Die Hamas entführte ihn an jenem schrecklichen 7. Oktober 2023. 

Ilan traf eine Entscheidung: Die Sukka würde stehen bleiben, bis sein Sohn wieder zurückkommt. Fast zwei Jahre lang stand sie da – ein stilles Zeugnis der Hoffnung und des Wartens. 

Sukkot auf dem Tübinger Marktplatz 

Am 9. Oktober feierten wir hier in Tübingen Sukkot auf dem Marktplatz. Wie jedes Jahr hatten wir eine große Sukka aufgebaut – eine Laubhütte, in der Juden weltweit eine Woche lang essen und feiern, zur Erinnerung an die Wüstenwanderung ihrer Vorfahren. Rabbiner Pawlowski von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs sprach über die Bedeutung dieses herrlichen Festes und über die Hoffnung, dass die Geiseln bald freikommen würden. 

Für viele jüdische Teilnehmer, auch für Israelis, die in Tübingen und Umgebung leben, wurde es zu einer Ermutigung: Ja, es ist immer noch möglich, seine jüdische Identität öffentlich zu leben und zu feiern – trotz allem. 

Psalm 126 wird Wirklichkeit 

Und dann kam der 13. Oktober, es ist wieder der Vorabend von Simchat Tora – also nach dem jüdischen Kalender genau 2 Jahre nach dem Hamas-Massaker. Die Bilder der Befreiung, der Begegnung, der Freude in Israel – sie füllten unsere Bildschirme und unsere Herzen. Tränen der Erleichterung, Umarmungen, die nicht enden wollten, Familien, die wieder zusammenfanden. 

Das biblische Wort aus Psalm 126 erfüllte sich vor unseren Augen: 

Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der HERR hat Großes an ihnen getan!
Psalm 126, 1-2 

Von der Erinnerung und Mahnung zur Freude – diese sieben Tage zwischen dem 7. und 13. Oktober 2025 werden uns für immer in Erinnerung bleiben. Und irgendwo in Israel konnte Ilan endlich die Sukka abbauen. Sein Sohn war nach Hause gekommen.

 

Im neuen „Stimme Erheben“ Magazin, das Ende des Monats erscheint, gibt es viele weitere spannende Artikel:  Jobst Bittner: “Wieviel Nationalismus darf es sein”, Carmen Shamsianpur: “Warum wir so gern Lügen glauben” uvm.

 

Bestelle Dir jetzt kostenfrei das neue Magazin nach Hause:

Jetzt Newsletter abonnieren

Jetzt Newsletter abonnieren

Sie möchten keine Neuigkeit mehr verpassen? Jetzt Felder ausfüllen und eintragen!

Danke! Ihr Eintragung war erfolgreich.