Das sehr wechselhafte Wetter mit stundenlangem Starkregen konnte die niederländischen und deutschen Teilnehmer des ersten „Mars van het Leven“ nicht aufhalten die über 300 km von Westerbork nach Amsterdam zu laufen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und für Israel zu setzen. Auf dem Weg kam es zu besonderen Begegnungen der Versöhnung aber auch zu Konfrontationen mit Antisemitismus.
Fast 82 Jahre nach der ersten Deportation nach Auschwitz am 15. Juli 1942 startete der erste Marsch des Lebens in den Niederlanden mit einer Gedenkveranstaltung in der Gedenkstätte Westerbork. Von hier aus wurden 107.000 Juden in die Vernichtungslager im Osten deportiert, nur 5000 von ihnen kehrten lebend zurück. Die großen Zahlen machen das Geschehen oft schwer greifbar. Die Opfer bekamen ein Gesicht, als Jan Barendse Jr. von der Familie seines Großvaters erzählte, die fast komplett in der Shoah ausgelöscht wurde. Vor Ort wurde ihm bewusst, dass mindestens 80 Familienmitglieder auch durch Westerbork gehen mussten. Jedoch nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter hatten ein Gesicht: Bärbel Pfeiffer berichtete unter Tränen von ihrem Großvater der als Techniker an der Konstruktion der Gaskammern in Auschwitz beteiligt war. Gemeinsam mit den ca. 70 Teilnehmern liefen sie schweigend mit dem Banner mit der Botschaft des Marsches „Am Israel Chai – das Volk Israel lebt“ durch das ehemalige Lagergelände. An den zwei Vieh-Wagons, die als Mahnmal auf dem Gelände stehen, blieb der Marsch stehen und die Teilnehmer legten Rosen im Gedenken an die deportierten und ermordeten Menschen nieder.
Besondere Begegnungen auf drei Tagesetappen
Im Anschluss teilten sich die Teilnehmer in 10 Teams auf, die an drei Tagen jeweils einen Teilabschnitt der ca. 100 km langen Tagesetappen wanderten: am ersten Tag durchgehend im strömenden Regen von Westerbork bis Zwolle, am zweiten Tag von Zwolle nach Amersfoort bei wechselhaftem Wetter und am dritten Tag bei strahlendem Wetter von Amersfoort bis Amsterdam. Bei den öffentlichen Veranstaltungen in Zwolle am ehemaligen „Gymnasium Celeanum“ und in der Gedenkstätte „Kamp Amersfoort“ kamen Tag für Tag mehr Teilnehmer dazu und schlossen sich den kleinen Teams an. Zwischen den niederländischen und deutschen Teilnehmern, aber auch mit Passanten auf dem Weg kam es immer wieder zu besonderen Begegnungen. In den Gruppen erzählten sich die Teilnehmer gegenseitig ihre Familiengeschichten: Nachfahren von niederländischen Kollaborateuren liefen neben den Kindern von ehemaligen Widerstandskämpfern und deutschen SS Offizieren. Während des Marsches trafen deutsche Teilnehmer unter anderem einem über 90-jähringen Mann, der während des deutschen Bombardements von Rotterdam sein Haus verloren hatte. Nach der persönlichen Bitte um Vergebung, zeigte sich der alte Mann tief bewegt. Niemals habe sich ein Deutscher vorher bei ihm entschuldigt. Ein anderes Team begegnete in Amsterdam einer jüdischen Familie, die sich sehr dankbar für das Zeichen der Solidarität zeigte aber mit Blick auf das Schild „Am Israel Chai“ warnte: „Es ist gefährlich hier so zu laufen“.
Dass Antisemitismus und Hass gegen Israel in den Niederlanden sehr real sind, erlebten die Teams auf dem Weg gelegentlich durch feindselige Blicke und Beschimpfungen aber auch einmal in Amsterdam durch eine direkte Konfrontation. Eine junge niederländische Frau mit Palästinensertuch entriss dem Team vom Marsch des Lebens das Schild mit der Botschaft „Am Israel Chai“. Eine Teilnehmerin holte sich das Schild zurück und im anschließenden Gespräch zeigte sich, wie stark moderne antisemitische Propaganda die Lehren aus der Shoah bei vielen Menschen überlagert hat und der alte Judenhass in neuem Gesicht wieder aufgestanden ist.
Abschluss in Amsterdam
Höhepunkt und Abschluss des Mars van het Leven war die „Night to Honor Israel“ in den Räumen der Pfingstgemeinde in Amsterdam. Oberrabbiner Benjamin Jacobs berichtete, wie er und die jüdische Gemeinde seit dem 7. Oktober wieder mit Antisemitismus konfrontiert sind, sogar durch Beschimpfungen von kleinen Kindern und unterstrich die Bedeutung des Mars van het Leven als ein öffentliches Signal für jüdisches Leben und Israel. „Das nächste Mal, möchte ich gern mitlaufen!“ waren seine abschließenden Worte. Marsch des Lebens Gründer Jobst Bittner fasste die Botschaft des Marsch des Lebens noch einmal zusammen: „Eigentlich ist die Geschichte des Holocaust eine Geschichte der Gleichgültigkeit und Mitläufer. Wir wollen unsere Stimme erheben, weil unsere Väter und Großväter es nicht getan haben. Wir laufen, um zu sagen: Kirche und Gemeinde, ihr müsst etwas tun.“ Arenda Haasnoot, die als Projektpartnerin den Marsch des Lebens in den Niederlanden mit getragen brachte das Anliegen zum Ausdruck, dass dieser Mars van het Leven ein Startschuss für viele weitere Märsche war: “Es war eine große Freude, bei diesem Marsch zu sein und ich hoffe, dass es nicht der Letzte, sondern der Erste ist!”.