Gedenkveranstaltung 70 Sportpalastrede

Am 18. Februar 2013 fand genau siebzig Jahre nach der berüchtigten Sportpalastrede von Joseph Goebbels, eine große Gedenkveranstaltung im Glashof des Jüdischen Museums Berlin statt.

Am 18. Februar 1943 hatte der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast zum “Totalen Krieg“ aufgerufen. 15.000 Zuschauer jubelten ihm damals zu und bejahten die zehn Fragen, die Goebbels wie heilige Schwüre beantworten ließ. Millionen verfolgten seine Rede im Radio oder lasen sie am folgenden Tag in der Zeitung. Der bereits verlorene Krieg wurde in der Folge um zwei grausame Jahre verlängert.

Am 18. Februar 2013, genau siebzig Jahre nach dieser Rede, führte die Marsch des Lebens Initiative im Glashof des Jüdischen Museums in Berlin eine Gedenkveranstaltung durch. Der zehnfache Eid der Sportpalastrede liege, so Jobst Bittner, der Initiator der Marsch des Lebens Bewegung, “bis heute über Deutschland wie eine bleierne Decke. Er war wie ein finsterer Gegenentwurf zum Dekalog und stellte eine der abgründigsten Formen der Götzenanbetung dar. Durch ihr gemeinsames “Ja“ zu einer uneingeschränkten Glaubensnachfolge Hitlers, die ausdrücklich die Verfolgung und Ausrottung der Juden mit einschloss, luden die Zuhörer eine Schuld auf sich, die bis heute in ihrer nationalen Tragweite noch nicht erkannt worden ist.“

Unter dem Motto “Erinnern – Nachfragen – ein Zeichen setzen“ kamen Vertreter aus dem Bundestag, verschiedenen Botschaften, der Wissenschaft, der Kirchen, Holocaustüberlebenden-Verbänden und jüdischen und christlichen Organisationen zusammen. In bewegenden, oft sehr persönlichen Redebeiträgen erinnerten sie an die zerstörerische Macht der Worte in der Vergangenheit und setzten ein Zeichen gegen modernen Antisemitismus.

Zu Beginn der Gedenkveranstaltung wurde eine Filmsequenz aus der Sportpalastrede gezeigt, die den frenetischen Jubel der verblendeten Massen zeigte. In einem musikalischen Beitrag erinnerte die Band Be’er Sheva an die Menschen, die als Namenlose ermordet wurden.

Nach einer geschichtlichen Einleitung von Jobst Bittner sprach Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er wies darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nur dann von Wert ist, wenn sie Konsequenzen im Hier und Heute hat.

Christian Schmidt, Parlamentarischer Staatssekretär und Mitglied des Bundestages für die CDU/CSU, sprach deutlich an, dass Antisemitismus heute kein Theoretikum ist. Der Rechtsstaat und die Zivilgesellschaft hätten Aufgaben zu erledigen. Er betonte, dass Hingabe eine Wertebindung brauche: “Wir alle müssen unser geistig-geistliches Fundament halten. Denn ohne solches ist die Verführbarkeit besonders groß. Das Fundament auf dem die ‘Weiße Rose’ aufbaute, ein christliches, ein jüdisches muss sein!“

Pavlo Klimkin, Botschafter der Ukraine in der BRD, erzählte, wie er mit acht Jahren zum ersten Mal die Gedenkstätte in Babi Jar besucht und die Grausamkeit dieses Ortes empfunden hatte.

Nach ihm berichtete Michael Glos, MdB (CDU/CSU), vom Schweigen über die Vergangenheit im deutschen Bundestag, das bis lange nach dem Krieg angehalten habe. Er beendete seine Rede mit dem Satz: “Wir sind heute hier zusammen gekommen, um stellvertretend den gnädigen Gott um Vergebung zu bitten.“

Besonders bewegend waren die Worte von Dr. Boris Zabarko, Präsident der ukrainischen Vereinigung jüdischer ehemaliger Häftlinge der Ghettos und nationalsozialistischer Konzentrationslager. Er selbst war als Kind im Ghetto von Schargorod inhaftiert. “Ich bin aus Kiev gekommen, aus der Stadt, in der die Deutschen und ihre Helfer in Babi Jar in nur zwei Tagen 33.771 Juden erschossen haben. Als genau vor siebzig Jahren der Oberpropagandist der Nazis und Judenhasser Joseph Goebbels seine Rede über den “totalen Krieg“ hielt, waren die meisten Juden meines Landes bereits ‘total vernichtet’.“ Angesichts des Schweigens der Staatengemeinschaft zu den antijüdischen Vernichtungsdrohungen des iranischen Präsidenten heute, werde klar, “dass noch nicht alle ihre Lektion aus dem Holocaust gelernt haben.“ Den Marsch des Lebens, an dem er in der Ukraine selber teilgenommen hatte, bezeichnete Boris Zabarko als “in seiner Größenordnung und Bedeutung beispiellos“.

Den zweiten Teil der Veranstaltung begann der Historiker und Publizist Dr. Rafael Seligmann mit einem fundierten Einblick in die damalige Bereitschaft der Deutschen, Verantwortung abzugeben und der NS-Propaganda zu folgen. Auch er stellte den aktuellen Bezug zu Verhandlungen mit dem iranischen Regime her.

Swen Schönheit, Pfarrer der Apostel-Petrus-Gemeinde Berlin, folgte mit einem erschütternden Bericht über die Rolle der Kirchen zur Zeit des Nationalsozialismus. Selbst innerhalb der Bekennenden Kirche waren wirkliche Gegner des Regimes und Verteidiger der Juden, so wie Dietrich Bonhoeffer es war, eine Ausnahme. Die “Glaubensbewegung Deutscher Christen“ hatte sich der nationalsozialistischen Rassenlehre verschrieben und folgte den antijüdischen Äußerungen Martin Luthers. Schönheit berichtete von einem besonders bemerkenswerten Detail: “Ein Jahrzehnt vor der Goebbels-Rede war der Sportpalast schon einmal Schauplatz einer gigantischen Manipulations-Messe: Die ‘Deutschen Christen’ brachten am 13. November 1933 dort 20.000 Menschen zusammen und präsentierten ihr Programm unter dem Motto: ‘Der Deutsche Christ liest das “Evangelium im Dritten Reich”.’ Die Schuldbekenntnisse der Kirchen nach dem Krieg ließen klare Worte vermissen. Wenn Gott heute, siebzig Jahre später, immer noch Schuld aufdeckt, ist das eine große Gnade und Chance.

Jobst Bittner formulierte in seinem Redebeitrag drei Thesen: Das Gesicht des Antisemitismus habe sich bis heute nicht verändert und die Dämonisierung, das Anlegen eines anderen Standards und Delegitimierung von Juden und ihrem Staat seien bis heute auszumachen. “Durch die Nazi-Propaganda hat ein nationaler religiöser Missbrauch stattgefunden, von dessen Folgen wir uns in Deutschland bis heute noch nicht erholt haben. Begriffe wie ‘Lebenshingabe’, ‘Entschlossenheit’ oder auch ‘heilig’ und ‘Glaube’ wurden durch die religiösen Anleihen der NS-Propaganda dermaßen aus ihrem christlichen Kontext herausgerissen, umgedeutet und missbraucht, dass sie bis heute bei vielen Menschen inneren Widerstand und zutiefst negative Assoziationen auslösen können.“ Die Zustimmung zu den zehn Fragen von Goebbels sei eine Schuld vor Gott und Menschen gewesen, deren Tragweite kaum erkannt worden sei. Mit der Veranstaltung “70 Jahre Sportpalastrede“ solle ein neues Segenskapitel in Deutschland eingeläutet werden.

Dr. Christoph Häselbarth vom Josua Dienst e.V., erzählte, wie er bei seiner Einschulung 1943 mit den anderen Kindern gelobte, sein Leben dem Führer zu weihen. “Das war meine erste Lebensübergabe“. Er beschrieb die krankmachende Nazi-Schuld und die heilende Macht der Buße und Vergebung.

Fürst Albrecht Castell, der als Zeitzeuge ebenfalls seine eigene und die Schuld seiner Familie bekannte, bat im Gebet um die Gnade und Vergebung Gottes. Christoph Häselbarth und Pfarrer Swen Schönheit schlossen sich ihm an. Als segensreiche Gegenproklamation zu den zehn fluchbringenden Schwören der Sportpalastrede wurden die Zehn Gebote, teilweise auf Hebräisch, vorgelesen. Am Ende der Gedenkveranstaltung stand ein gemeinsames Schuldeingeständnis und ein neues Bekenntnis vor Gott.

Ein Kennzeichen der Veranstaltung war, dass Redner und Zuhörer aus so vielen unterschiedlichen Bereichen der Politik, Kirche und Gesellschaft ihre Bereitschaft zeigten, bei der Aufarbeitung der Vergangenheit und Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zusammenzuarbeiten. Ihre rege Teilnahme hat die Gedenkveranstaltung zu einem großen Erfolg gemacht.

Hier finden Sie die Dokumentation der Gedenkveranstaltung sowie Grußworte von Prof. Dr. Norbert Lammert, Präsident des Deutschen Bundestages, Sigmar Gabriel MdB, Parteivorsitzender der SPD, Dr. Martin Salm, Vorstandsvorsitzender der Stiftung EVZ. Download

Hier finden Sie den aktuellen tosTrendletter von Jobst und Charlotte Bittner zu dem Thema “Die Berliner Sportpalastrede am 18. Februar 1943 und ihre Auswirkungen heute“. Download

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