Rabbi Pavlovsky Chanukka auf dem Marktplatz von Tübingen 2022

Chanukka – der Kampf um die jüdische Identität

Im Zentrum der diesjährigen Chanukka-Tage, die der Marsch des Lebens seit zehn Jahren veranstaltet, stand der Staat Israel, der im kommenden Jahr seinen 75. Geburtstag feiert.

Obwohl das jüdische Lichterfest vor allem ein Familienfest ist, bei dem jeden Abend eine Kerze mehr angezündet wird, Kinder acht Tage lang beschenkt werden und man es sich mit ölig-süßen Speisen gut gehen lässt, hat dieses Fest mehr als eine Verbindung zur Staatsgründung Israels 1948.

Im Aufstand der Makkabäer kämpfte Israel um sein Selbstbestimmungsrecht und stellte mit Chanukka den Ort der Heiligkeit Gottes wieder her. Es war ein Wunder, dass eine kleine Gruppe Kämpfer die hellenistische Supermacht aus Jerusalem vertreiben konnte und ein zweites Wunder, dass das Öl für den Leuchter acht Tage statt einen Tag brannte. „Damals wie heute passen die Juden irgendwie nicht ins Konzept rein“, erklärte Heinz Reuss bei der öffentlichen Chanukka Feier auf dem Marktplatz in Tübingen. „Heute passt der jüdische Staat vielen nicht und sie stellen das Existenzrecht Israels in Frage.“ Die Ausstellung 1948 des DEIN e.V. räume mit vielen Vorurteilen und Fehlinformationen über die Staatsgründung auf und sei deshalb so entscheidend in unserer Gesellschaft.

Die Eröffnung der Ausstellung 1948 im neuen Foyer des TOS Gemeinde- und Konferenzzentrum markierte den Start der diesjährigen Chanukka-Tage. Dr. Oren Osterer, der die Ausstellung 2018 mit initiiert hatte, fesselte die Besucher in seinem Vortrag mit größtenteils unbekannten Fakten rund um die Staatsgründung. „Der Zionismus ist im Kern ein Paradigmenwechsel innerhalb des jüdischen Volkes gewesen. Bis ins 19. Jahrhundert glaubte die Mehrheit der Juden, dass eine Rückkehr ins Heilige Land nur durch den Messias erfolgen könne, weil die Verbannung durch die Römer eine göttliche Strafe gewesen sei. Der Zionismus sagt: ‚Es ist unsere Aufgabe, in dieses Land zurückzukehren und für einen jüdischen Staat zu kämpfen.‘“

Michael Kashi vom Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, mit der der Marsch des Lebens e.V. bei dieser Ausstellung kooperierte, erzählte die Geschichte seiner Familie, die immer wieder Pogromen und Verfolgung ausgesetzt war und für die Israel zum Land der Hoffnung und der Freiheit wurde: „Überall auf der Welt, wo Juden leben, wissen sie, dass – wenn immer sie bedroht sind – nach Israel in Sicherheit kommen können und dort willkommen sind.“ Der bei der Eröffnung anwesende Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, zeigte sich sehr beeindruckt von der Ausstellung und dem Engagement des Marsch des Lebens gegen Antisemitismus und für den israelischen Staat.

Neben den historischen und politischen Hintergründen hatten die Teilnehmer des Workshops „Der Geschmack von Israel“, die Möglichkeit, Land und Leute unter anderem mit dem Gaumen kennenzulernen. Martine Shavit aus Israel gab eine Einführung in die vielfältige israelische Gesellschaft und kochte anschließend gemeinsam mit 20 Teilnehmern zehn typische Gerichte, die ihren Ursprung in den jüdischen Gemeinschaften von Griechenland, Iran, Marokko, Libanon und anderen Ländern haben. Im zweiten Teil des Seminars erzählte Martine Shavit über die jüdische Gemeinschaft von Thessaloniki im Holocaust. Viele der griechischen Juden waren Teil des Sonderkommandos in Auschwitz, die in den Krematorien arbeiten mussten. Sie verständigten sich durch Gesänge mit den anderen griechischen Häftlingen, in denen sie Informationen über die Gräueltaten weitergaben.

Marsch des Lebens Gründer Jobst Bittner zeigte die historische Bedeutung des Lichterfestes für Tübingen auf: Vor 140 Jahren war die Tübinger Synagoge an Chanukka eingeweiht worden. 1937 fand das letzte Chanukkafest statt, bevor die Synagoge ein Jahr später in der Reichspogromnacht niedergebrannt wurde und das jüdische Leben in der Stadt vorerst endete. Umso wichtiger sei es, mit dem Entzünden der Kerzen heute ein Zeichen gegen erneut aufflammenden Antisemitismus zu setzen.

Der Antisemitismusbeauftragte Baden-Württembergs, Dr. Michael Blume, erklärte in seinem Vortrag „Antisemitische Verschwörungsmythen“, wie sehr Antisemitismus in unserer Kultur verankert ist. Sei es durch antijüdische Aussagen der Kirche oder Propaganda der Nazis, die bis heute wirksam seien und sich in modernen Verschwörungstheorien wieder fänden. „Antisemitismus ist nicht irgendein Verschwörungsglauben, sondern er bedroht die Grundlage jeder friedlichen freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung“, betonte Blume.

Mit dem Entzünden der ersten Kerze der Chanukkia auf dem Tübinger Marktplatz, gemeinsam mit Rabbiner Marc Pavlovsky und dem ukrainischen Holocaustüberlebenden Boris Zabarko, endeten die diesjährigen Chanukka-Tage.

Einige der Veranstaltungen können Sie auf unserem YouTube Kanal nachsehen:

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